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Sonntag, 11. Dezember 2011

Sturmspaziergang


 Ich habe es genossen! JA, ich genoss den Spaziergang in vollen Zügen und mit allen Sinnen.

Die Frankenwaldhöhen sind bekannt dafür, dass es immer windig und frisch ist. Das ist angenehm in heißen, trockenen Sommern, aber es ist auch ein Naturerlebnis, wenn die Winde etwas heftiger werden.

Dank Poldi bin ich in dieser Woche wieder in den Genuss gekommen, bis in die letzte Pore meines Körpers Leben zu spüren.

Am Morgen der Alltagsbetrieb. Fließendes Gewusel. Dann urplötzliche Stille, als die Kinder das Haus verlassen haben. Zeit zum Gassi gehen. Ein Blick nach draußen lässt nicht viel Gutes hoffen. Noch liegt auf der Wiese Schnee, doch es hängen tiefe Wolken am Himmel. Die Bäume neigen sich im Wind.  Es ist 7.45 Uhr, es ist immer noch dunkel und die Temperatur liegt bei  +3°C. Gefühlt liegen die Temperaturen deutlich darunter.


Poldi ist hocherfreut, als ich - dick verpackt - mir die Leine nehme und "Gassi!" rufe. Seine Begeisterung lässt kurze Zeit später merklich nach, sobald wir das Dorf verlassen und das freie Feld betreten. Ein scharfer Wind lässt seine langen Haare fliegen und ihn die Straßenseite wechseln. Ich erfreue mich an meiner Jacke, die windfest, wasserdicht, gut gefüttert und vor allem mit hohen, zuknöpfbaren Kragen gesegnet ist. Damit die Kapuze mir nicht in die Augen hängt, trage ich noch eine Schirmmütze darunter. Ja, ich fühle mich gewappnet. Unter der Jacke trage ich noch Wollpulli, T-Shirt und Unterhemd. Auch die Hose ist wetterfest. Thermohose muss es sein - jawoll! Handschuhe für -20° C gehören dazu. Es gibt kein schlechtes Wetter sondern nur schlechte Kleidung.



Während ich den Berg hochlaufe, wird der Wind noch heftiger. Er zerrt an den Hosenbeinen und macht das Laufen schwer, doch die Aussicht, dass ich bald auf der Höhe bin, lässt mich zügig ausschreiten. Mittlerweile fängt es an zu nieseln. Das ist an sich nicht schlimm, doch der scharfe Wind lässt den Nieselregen wie kleine scharfe Nadelspitzen meine Haut traktieren. Das Sehen wird schlechter, durch den Wind kann ich die Augen nicht mehr als zu einem Blinzeln öffnen.
Ich versuche mit geneigtem und zur Seite gedrehtem Kopf die Anhöhe zu erreichen. Die Augen tränen und ich kann nur noch flach durch den Jackenkragen atmen. Poldi springt normalerweise - wenn ein Fahrzeug kommt - sofort über den Graben auf die Wiese und setzt sich ohne Kommando hin. Heute blickt er ständig um sich und ist unsicher. Hört er auch nichts? Das Nieseln wird auf der Anhöhe zu Graupel. Durch den aufbrausenden Wind vernimmt man nur noch den "Gesang der Sturmfrauen" und spürt das beharrliche Staccatissimo der feuchten Eiskügelchen. Das Gesicht schmerzt. Mittlerweile ist die windausgesetzte Jackenhälfte richtig nass und ein Hosenbein klebt feucht an der Haut.


Dann komme ich an einer hohen Hecke vorbei. Die Hoffnung, dass es sich dort besser spazieren gehen lässt, erfüllt sich nicht. Mächtig ist das Heulen und Tosen durch die Zweige. Es ist eine irrsinnige Kraft, die an der Kleidung zerrt. Die Jacke wird spürbar immer schwerer. Winddicht scheint sie zu sein, die Kälte kann mir nichts anhaben. Leider dringt im Schulterbereich das Wasser ein und das so zügig, wie es permanent heftig auf mich prasselt. In den Armbeugen spüre ich zusätzliche Nässe. Ich muss schmunzeln. In jungen Jahren durfte ich auf einem Motorrad mitfahren. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit hatte ich Schwierigkeiten mit dem Luft holen. Nun geht es mir wieder so. Der Wind und der Graupel treffen mich zu hart im Gesicht. Ich muss in verdrehter Haltung weiterlaufen, um tief einatmen zu können.

Eines erkenne ich erstaunt. Ich dampfe! Nein, nicht nur aus dem Mund wegen der Kälte, sondern aus der Jacke. Belustigt stelle ich fest: Sie ist zumindest atmungsaktiv. Meine Hand greift in die Tasche. Nase putzen wäre toll, aber leider ist meine Jackentasche durchweicht und der Inhalt dementsprechend.

Mittlerweile sind wir 1,5 km unterwegs. Bei uns gibt es viele Fichtenbestände. Durch den Wald hindurch zu laufen hat selbst bei diesem Wetter seinen Reiz. Der Wind ist nicht mehr so heftig. Der "Gesang" milder, gleichmäßig aber beharrlich. Ich schaue zu ein paar einzeln stehenden Fichten. Sie biegen sich im Rhythmus und nach einer Zeit muss ich wegsehen, da die Bewegung bei mir Schwindel verursacht.
Eines geht mir spontan durch den Kopf. Ich rieche nichts! Gerade die Gerüche in der Natur regen mich an oder lassen mich zur Ruhe kommen. Heute wird jeglicher Duft von harzigem Holz, vermoderten Blättern, würzigem Waldboden und dumpfem Pilzgeruch einfach fortgetragen.

Im Wald ist vom Graupel nichts zu spüren. Statt dessen fallen dicke Tropfen von den Bäumen, prallen auf die Kapuze und bilden ihren eigenen Tonverlauf. Das Wasser rinnt schon den Rücken entlang und wird vom Bund der Thermohosen ausgebremst. Ich bemerke fasziniert, dass bisher meine Füße scheinbar trocken bleiben. Sicherlich nicht lange, denn beide Hosenbeine kleben an meiner Haut fest und das Wasser sammelt sich spürbar am Sockenbund.

Aus dem Wald heraus trifft mich das Unwetter mit voller Wucht. Selbst meine unverwüstliche Fellnase zieht den Kopf und Schwanz ein. Zeitweise stolpere ich nur vorwärts, teilweise laufe ich wie gegen eine Mauer. Energie durchströmt mich. Diese Wildheit und Urkraft ist phänomenal und begeistert mich. Ich muss die Stirn bieten, um vorwärts zu kommen und je mehr ich mich anstrengen muss, umso mehr Spaß empfinde ich dabei. Ich nehme den Kopf hoch und blicke in den Himmel. Wie in der Dusche strömt das Wassser über mein Gesicht und läuft den Hals hinunter. Egal. Nasser kann ich nicht mehr werden. Auf den Augen bleiben die Graupelkörner liegen. Der Kältereiz ist enorm. Es wird ein Spiel zwischen den "Sturmfrauen" und mir. Sie haben mich eingeladen und nun bin ich Teil von ihnen. Ich bin im tosenden Sturm und bin dennoch Beobachter. Überwältigend der Blick auf das Dorf, das im Tal liegt. Es herrscht darüber ein interessantes Wolkenspiel. Ob die Leute in den Häusern wissen, was ihnen entgeht?
Hier draußen spürt man Leben pur!
Was stört es, dass das Unterhemd spürbar klebt, kleine Rinnsale den Rücken entlang fließen, die Zehen nun doch von Feuchtigkeit umgeben sind. Es "quackert" bei jedem Schritt und die Überlegung bleibt, warum ich nasse Zehen und Knöchel habe und sich meine Fersen aber dagegen trocken anfühlen. Ich bin durch und durch nass, doch ich friere nicht. Erhitzt bin ich. Spürbar sind die Elemente. "Ihr Sturmfrauen seid aus Wasser und Luft und ich bringe das Feuer mit und bleibe auf der Erde!"

Alles im Einklang.


Zu Hause angekommen kann ich mich nicht ausziehen, sondern nur aus der Kleidung schälen. Vereinzelt sind sogar kleine trockene Stellen am Körper zu finden. Jacke und Hose muss ich in die Dusche hängen. Es war diesmal eine nur 3 km lange Wegstrecke, aber ich hinterlasse dennoch im Haus eine durchgehende Spur an Wassertropfen.

Den Hund schnell trockenreiben und füttern. Dann bin ich dran. Die Finger sind klamm. Mein Körper ist rot, eiskalt und nass. Die Haut pulsiert. Die Gesichtsmassage war kostenlos und nachhaltig. Selbst die Haare sehen wüst aus wie nach einem Kampf, doch riechen sie herrlich nach frischer Luft. Jetzt noch einen heißen Kaffee in Ruhe trinken. Wohlige Wärme im Haus, trockene Kleidung - ich brauche wirklich keinen Adventure- oder Wellnessurlaub - mein Wald genügt mir.

Wisst ihr was?

Das Leben ist schön!



P.S.: Kann sich einer von euch vorstellen, dass knappe vier Stunden später die Sonne durch die Wolken blitzte? Was das Thema "winterfeste Kleidung" betrifft...  Winterfest ist nicht Sturmfest, oder? ;-)
Die Bilder sind etwas älter. Fotos hätte ich an dem Tag nicht machen können.